Bettina Pelz
Auszüge aus der Rede zur
Eröffnung der Ausstellung
„Orte ohne Absicht“ mit
Werken von Laurenz Theinert
am 2.12.2018 im Kunsthaus
Kloster Gravenhorst.
Gestern telefonierte ich mit Katerina Mirovic, einer Kuratorin in Ljubljana, und als ich ihr sagte, dass ich heute Laurenz Theinert treffen würde, um seine Einzelausstellung im Kunsthaus Kloster Gravenhorst zu eröffnen, kam sie ins Schwärmen: „Laurenz ist so klar in seiner künstlerischen Vorstellung, das nie etwas kompliziert wird – auch wenn die Rahmenbedingungen nicht immer perfekt sind. Es ist so einfach mit ihm zu arbeiten, weil er niemals konfus ist und auch technisch immer weiß, was er tut.“ Freuen Sie sich also auf Arbeiten eines Künstlers, der weiß, was er tut.
Im Laufe seines Studium hat sich Laurenz Theinert mit Graphik, Gestaltung und Fotografie beschäftigt. Er hat Design studiert und nach dem Studium, in den 1990er Jahren, ein Designbüro geführt. Im Laufe der Zeit wurde ihm das Korsett des kommerziellen Designs zu eng und er begann eigenständige Arbeiten zu realisieren.
Im experimentellen Umgang mit Farbe und Form, mit Licht und Wahrnehmung hat er in den letzten 15 Jahren eine ganz eigene künstlerische Praxis entwickelt. 2005 realisierte er seine erste Licht- und Klangperformance mit Martin Stortz am Piano in der Staatsgalerie Stuttgart. Im gleichen Jahr hatte er seine erste Einzelausstellung mit dem Titel „Lichtbild, Lichtraum, Lichtspiel“ im Kunstverein Nürtingen mit fotografischen Arbeiten und Lichtinstallationen.
Wenn er heute über seine Arbeit spricht, dann sagt er: „Mein Verständnis von Licht ist in der Fotografie verwurzelt – alle Prozesse der Fotografie sind lichtbezogen und sie haben meine Verständnis des Visuellen verändert. Je tiefer mein Verständnis wurde, desto mehr wollte ich diese Erfahrung – den Prozess des Erscheinens und Verschwindens oder des „Happenings“ – mit anderen teilen, natürlich mit Künstlern und Kuratoren, aber auch mit einem aufmerksamen Publikum.“
Laurenz Theinert ist in Hannover geboren und ist vor mehr als 30 Jahren zum Studium nach Stuttgart gegangen. Dort lebt er bis heute und plant für die Zukunft. Er würde sich gern in einem Wohnprojekt mit Freunden und Wahlverwandten beheimaten, um die Gefährten für ein ausgedehntes Frühstück oder ein kluges Gespräch in der Nähe zu wissen. So wie er gern mit Gedanken spielt, so versteht er auch seine künstlerische Arbeit: spielerisch. Würden wir ihn fragen, welche Intentionen er in seiner Kunst nachgeht, würde er sagen, er habe keine Absichten. Er verweigert sich Inhalten und Zuschreibungen, er verweigert sich dem Wissen um Assoziationen und Codierungen und jeder Form der Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit. Er will seine Arbeiten als konkrete Kunst verstanden wissen. Er fordert mit Hinsehen auf und lädt Sie zum Mitfühlen ein. Aber bitte lassen Sie sich nicht täuschen, fragen Sie ihn danach, wie er die Weit erklärt. Und er wird erzählen von verschiedenen Sphären, die mit einander korrespondieren und wie Bilder und Bewusstsein einander prägen.
Auf dem Weg, den Laurenz Theinert einschlägt, geht es um das Sehen und Erleben, um Präsenz und um Unmittelbarkeit. Wenn Sie zu denen gehören, die im Meditieren geübt sind, dann ist dieser Ausstellungsbesuch eine Art Fortsetzung ihrer täglichen Übung und sie werden eine Ahnung davon haben wie sehen und spüren, denken und verstehen miteinander bedingen.
Wer Laurenz kennt – und wir kennen uns aus der Realisierung vieler gemeinsamer Ausstellungsprojekte in der ganzen Weit – wer ihn kennt, der weiß, dass er ein außerordentlich soziales Wesen ist. Sie können etwas davon ahnen, wenn sie ihn erleben, wenn er die Besucher zu seinen Konzerten mit dem Visual Piano begrüßt. Ich weiß nicht, wie oft ich schon diese Einleitung gehört habe und vermutlich könnte ich sie aufsagen, aber bei ihm ist sie jedes Mal mit der Freude hinterlegt, auf ein neues Publikum zu treffen.
Er liebt es zu spielen, und er liebt sein Publikum – heute also Sie. Er nimmt Sie mit auf eine Reise durch Farben und Formen, durch Bewegungen und Verwebungen. Er verändert Oberflächen und Räume, Ansichten und Erfahrungen. Er arbeitet ort- und kontextbezogen. Er findet sich ein. So entstehen fotografische Serien, Installationen und Interventionen, Performances und Konzerte. In dieser Ausstellung sehen sie eine Auswahl, in denen die Wahl der Räume die Wahl der Arbeiten bestimmte.
Ich selbst kenne Laurenz seit 10 Jahren. 2008 hatte ich ihn zu dem Licht Kunst Projekt GLOW nach Eindhoven eingeladen. Zufällig lasen wir in dem gleichen Buch – in der Übersetzung von ,.Catching the Light“ von Arthur Zajonc, 2008 in Stuttgart erschienen. In diesem Buch skizziert Zajonc die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein. Beim Lesen wird schnell deutlich, warum viele Metaphern wie Geistesblitz oder Einleuchten oder Aufklärung licht-verwandte sind.
Arthur Guy Zajonc, 1949 in Boston / MA geboren, ist Physiker. Wiederkehrendes Thema seiner Publikationen ist das Wirkgefüge von Wissenschaft, Geist und Seele. Eines seiner Bücher basiert auf Dialogen über Quantenmechanik mit dem Dalai Lama. Seine Forschung umfasst Studien zur Elektronen-Atom-Physik, zur Quantenoptik, zu den experimentellen Grundlagen der Quantenphysik und zur Beziehung zwischen Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und kontemplativen Traditionen. Arthur Zajonc schreibt: „Das Licht sehen – das ist eine Metapher für das Anschauen des Unsichtbaren im Sichtbaren, die Entdeckung der feinen Vorstellungsnetze, die unseren Planeten und alle Existenz zusammenhalten. Sobald wir gelernt haben, das Licht zu sehen, könnte sich alles andere von selbst ergeben.“ Das war ein Versprechen, dem Laurenz wie ich gerne nachgegangen sind.
Zajoncs Ziel ist es, einen Perspektivwechsel in der Wissenschaft zu initiieren und Licht als essentiellen Baustein der Evolution neu zu bewerten. Er schreibt: „Die Evolution hat sich im Kontext des Lichts vollzogen, und im Laufe der Zeit hat der Organismus mit der Bildung von Sehorganen reagiert.“ In seinen Ausführungen bezieht er sich auch auf Johann Wolfgang von Goethe, der in der Vorbereitung seiner „Farbenlehre“ zu dem Schluss kommt: „Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken.“
Im Jahr 1791 veröffentlicht Goethe die „Beiträge zur Optik“ und beschreibt die Entstehung der Farbe als Resultat der Wechselwirkung von Licht und Finsternis. Goethe verfolgte die Bedingungen des Erscheinen, Sichtbarwerdens und der Sichtbarkeit von Farbe. In seinen Farbstudien entwarf er eine Theorie der Wahrnehmung und bestimmte die physiologischen, die vom Auge erzeugten Farben, als Grundlage seiner chromatischen Lehre.
Er unterschied zwischen den chemischen Farben, heute würden wir sagen: den Pigmentfarben oder den Körperfarben – den physikalischen Farben – die durch die optischen Phänomene wie Lichtbrechung, -beugung oder -reflexion entstehen und den physiologischen Farben, solchen die das Auge erzeugt wie wir es von Simultankontrasten oder Nachbildern kennen.
Basierend auf diesen Parametern entwickelte Goethe ein chromatisches Farbsystem, das Farbe aus der Interaktion mit Licht erklärte: Farbe ist nicht mehr etwas Statisches, sondern etwas, das sich im Zusammenspiel von Körperfarbe, Lichtsituation und Wahrnehmung generiert. Und Goethe zeigt damit nicht nur die Vielfalt der chromatischen Erscheinung selbst sondern auch ihren zeitlichen Verlauf: von den flüchtigen, zu den unbeständigen bis zu den dauerhaften Farben.
Goethe machte die physiologischen Farben zum Fundament seiner gesamten Lehre. Obwohl Nachbilder und andere vom Auge selbst erzeugte Phänomene bereits seit der Antike bekannt waren, wurden sie bis dahin als Täuschungen und Gesichtsbetrug abgetan. Die Beschäftigung mit ihren physiologischen Ursachen begann erst im 18. Jahrhundert, als die Physiologie ins Zentrum des medizinischen Diskurses trat. Bis zu dieser Zeit wurden alle Farbwahrnehmungen, die nicht mit den Erklärungsansätzen der geometrischen Optik vereinbar waren als Ausnahmeerscheinungen behandelt und der Einbildungskraft zugeschrieben, da die menschliche Wahrnehmung als unberechenbarer Faktor galt.
Erst wenige Jahre zuvor hatte der englische Arzt Robert Waring Darwin (1766-1848) (später der Vater von Charles Darwin) das Auge unter physiologischen Aspekten als aktiv agierend betrachtet. Unter dem Titel „New Experiments on the Ocular Spectra of Light and Colours“ hatte er 1786 seine Dissertation der Royal Society vorgestellt. Robert Darwin stellte die Nachbild- und Simultankontraste als Gesetzmäßigkeiten fest, die auch in Goethes Farbenlehre zu finden sind: Ein roter Gegenstand erzeugt ein grünes Nachbild. Gelb ein violettes, Blau ein oranges und umgekehrt. Und es war Goethe, der die Gesetzmäßigkeiten der vom Sehsinn erzeugten Farben zur Norm erhob.
Laurenz Theinert steht mit seiner Arbeit in dieser Tradition. In seinen Arbeiten ist Farbe ein temporäres, ein flüchtiges System, dass sich im Spiel von Pigment, Licht und Wahrnehmung generiert. Und wie bei Goethe geht es ihm um die Aktivierung und Reflexion der Sinnestätigkeit. Farbwahrnehmung gilt heute als Teilbereich des Sehens und beschreibt die Fähigkeit. Unterschiede in der spektralen Zusammensetzung des Lichts wahrzunehmen. Dabei können unterschiedliche spektrale Zusammensetzungen des Farbreizes zur gleichen Farbwahrnehmung führen.
Viele Künstler*innen hat diese veränderte Perspektive interessiert, darunter der venezolanische Künstler Carlos Cruz-Diez (*1923 Caracas) der es kürzlich in einem Interview so zusammenfasste: „Ich definiere mich als Maler und das grundlegende Instrument eines Malers ist die Farbe. … Farbe ist nicht etwas Dauerhaftes oder Ewiges, wie die Vorstellung, die wir in der westlichen Gesellschaft haben, dass alles ewig ist. Farbe ist ein Umstand und alles, was ich gefunden habe, unterstützt diesen Beweis in diesem sich verändernden, mutierenden und flüchtigen Zustand, der die Welt der Farbe ist .“
Wie so oft führten die Transfers zwischen Wissenschaft und Kunst zu neuen künstlerischen Ausdrucksformen. l877 erhielt der US-Künstler und Erfinder Bainbridge Bishop ein Patent für seine erste Farborgel. Die Instrumente sind beleuchtete Aufsätze für Pfeifenorgeln, die farbiges Licht synchron zur musikalischen Darbietung auf einen Bildschirm projizieren können. Bischof baute drei der Instrumente, von denen keines erhalten ist. In den folgenden Jahren entstanden eine Vielzahl von Instrumenten und
Kompositionen für Farblicht.
Im Jahr 1925 initiierte der Hamburger Psychologieprofessor Georg Anschütz verschiedene Aktivitäten zur Erforschung der visuellen Aspekte auditiver Wahrnehmung. Die Bemühungen gipfelten in vier interdisziplinären Kongressen zur Farbe-Ton-Forschung in den Jahren 1927, 1930, 1933 und 1936. Konzepte, der dynamischen Visualisierung von Musik wurden als Farblichtmusik von Alexander László und Ludwig Hirschfeld-Mack, als Kinetismus von Zdeněk Pešánek und als musikbezogener abstrakter Film von Oskar Fischinger präsentiert. Im Rahmen der Farbe-Ton-Forschung wurde jedoch weniger das künstlerische Konzept, sondern vielmehr die Bedeutung für die individuelle Wahrnehmung diskutiert. In dieser Tradition der Farblichtmusiken steht das visuelle Piano von Laurenz Theinert – die künstlerische Erkundung der Verbindung von Licht und Klang.
Laurenz Theinert: „Obwohl wir uns in verschiedenen Sphären bewegen, können wir uns als bild- und tongebende Künstler leicht verbinden. Ich lasse mich von den Qualitäten und dem Verhalten des Klangs inspirieren und suche Musiker aus, die sich für die transmediale Zusammenarbeit interessieren. „Je besser sie ihr Instrument und ihren Raum kennen, desto mehr können wir uns auf unsere Kommunikation als ästhetischen Prozess konzentrieren. … Diese Begegnungen zu teilen bedeutet den fragilen Moment zu teilen, in dem zwei Systeme beginnen zu korrespondieren. … Die Präsenz von Menschen verändert die visuellen und akustischen Qualitäten des Raumes und ein bewegtes Publikum ist wie ein dritter Improvisator am Set. … Ich mag die Herausforderung der Improvisation, die uns daran erinnert, präsent zu sein.
Mit Hilfe der Software-Entwickler Roland Blach und Philipp Rahlenbeck entwickelte er ein Bildinstrument, das es ihm erlaubt, seine künstlerische Intention in Live-Performances zu übersetzen. Im Interview mit mir sagte er vor zwei Jahren: „Mit konzeptioneller und technischer Unterstützung entwickelte ich das Visual Piano, ein Instrument, das es mir ermöglicht mit Licht, Form und Farbe in Raum und Zeit zu spielen. Die Idee war nicht neu, es gibt eine große Tradition von Farb- und Klanginstrumenten. Ich weiß nicht, wie weit wir es in der Geschichte zu rückverfolgen können, aber ich war inspiriert von den frühen Ideen, die im 16. Jahrhundert entwickelt wurden oder als ich von dem französischen Mönch Louis Bertrand Castel im 18. Jahrhundert hörte, der die Idee eines „Clavecin pour Les Yeux“ vorschlug.
In den 1920er Jahren prägte der gebürtige Däne Thomas Wilfred das Wort „Lumia“ um diese Form des künstlerischen Ausdrucks zu beschreiben. Er entwickelte eine Reihe von Instrumenten und mit den späteren konnte er sogar farbige Bilder projizieren und nicht nur Felder mit farbigem Licht wie mit seinen früheren Instrumenten.
In Deutschland wurden von Ende der 1900er bis Anfang der 1930er Jahre auf einer Reihe von Farbmusikkongressen mehrere Farborgeln vorgeführt. In einem davon spielte Ludwig Hirschfeld-Mack sein „Farbenlichtspiel“ an einer Farborgel, die er an der Weimarer Bauhausschule in Zusammenarbeit mit Kurt Schwerdtfeger entwickelt hatte. Wenn wir uns die vielen Versionen von Farborgeln ansehen, sehen wir, dass ich nicht die Einzige war, sondern dass es im Laufe der Jahrhunderte ein breites künstlerisches Interesse gab, die Ästhetik der Frequenzen von Licht und Ton zu erforschen „Mein Visual Piano ist eine Version, die auf digitalen Steuerungen basiert und immer noch einzigartig auf der Welt ist.“
Und was ist besonders daran? Es ist ein digitales Instrument, das analog bedient wird. Es gibt keinen Mechanismus und keinen Algorithmus, der das Tongeschehen in ein Bildwerk übersetzt oder eine Analogie erzeugt. Es ist der Künstler, der sieht, fühlt und denkt und der auf dieses Sinnesereignis antwortet. Sie können dem Maler beim Malen zu sehen.
Laurenz‘ Performances sind echte Konzerte, meist von zwei Frequenz-Gestaltern – einem, der mit der Klangfarbe improvisiert und einem, der mit der Lichtbild spielt. Laurenz Theinert nennt das Lichtkunst – anders als andere Künstler*innen, die sich gegen die Zuschreibungen und Materialverbundenheit wehren, geht er offensiv mit dem Begriff Lichtkunst um – und das schon seit vielen Jahren.
Gegenwärtig fungiert der Begriff „Lichtkunst“ wie ein ergänzendes Label für künstlerische Positionen, die mit Licht als Material oder Werkzeug arbeiten. Der Begriff legt die Verwandtschaft zur Video- oder Medienkunst nahe, wie sie im 20. Jahrhundert entwickelt haben. Er bezieht sich auf Kunstformen, die eng mit der Entwicklung technischer Möglichkeiten verwoben sind und nach deren impliziten ästhetischen Potentialen fragen.
Physikalisches Licht als Material und Medium der Kunst hat in den letzten Jahrzehnten an Virulenz gewonnen. Entlang den Schnittstellen von analoger und digitaler Welt verändern und erneuern sich künstlerische Formate. In der Bildkultur der Gegenwart ist Licht der allgegenwärtiges Material, Werkzeug und Medium. Künstler*innen verwenden Licht für Zeichnung, Malerei, Skulptur, Installation, Intervention und Performance. Lichtkunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie Interferenzen verbildlichen. Sie lassen sich als ein dynamisches System wechselseitiger Verweise lesen, dass sich im Zusammenspiel der physikalischen Eigenschaften des Lichts und den Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung erschließen lassen.
Wurde in der Vergangenheit das Bild charakterisiert durch räumliche Begrenzung, mediale Fixierung und zeitliche Permanenz, erscheint dies in der Gegenwart als unzulänglich, um auch die ästhetische Produktion zu beschreiben, denen Nichtlokalität, Zeitfluss, Intermedialität und Vergänglichkeit inhärent sind. Die Ästhetik der Erscheinung eines dauerhaften Bildes, das gerade durch seine Statik gegenwärtig ist, transformiert sich zu einer Ästhetik des veränderlichen Bildes, das nur in seiner Flüchtigkeit gegenwärtig ist. „Auf Formen und Volumen, die dazu bestimmt waren, im Rahmen der Lebenszeit ihrer Trägermaterialien fortzudauern, folgen Bilder, deren einzige Dauer die des Nachbildes auf der Netzhaut ist …“, beschreibt Paul Virilio die Veränderungen in der Bildbetrachtung. Subjektivität als a priori von Wahrnehmung wird betont und das Modell eines objektiven, statischen und beschreibbaren Werkes hat sich aufgelöst.
Diese Form von Subjektivität interessiert auch Laurenz Theinert. Er liest viel und denkt gern, er ist ein guter Beobachter und kluger Gesprächspartner. Vielleicht hat ihn auch deshalb das Buch „Catching the Light“ des Physiker Arthur Zajonc fasziniert, der schreibt: „Das Photon ist kein Gegenstand, den man wie einen Erdklumpen in die Hand nehmen könnte. Sein flüchtiger und rätselhafter Charakter lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Wesensmerkmale der Erkenntnis als Anschauung, der Erkenntnis als Ereignis.“ Erkenntnis als Ereignis, als etwas, das auftritt und wieder verschwindet, Erkenntnis als etwas Veränderliches. Arthur Zajonc schreibt weiter: „Der wahre Künstler, Mönch und Wissenschaftler versteht Erkenntnis nicht als Objekt, sondern als Ereignis.“ Mit der Auswahl seiner Protagonisten lenkt Zajonc den Blick auf die Erfahrung, dass Wissen und Erkenntnis auf regelmäßige Übung angewiesen sind, um in einer sich wandelnden Erinnerung, in einem sich verändernden Körper, in einer sich drehenden Welt verfügt zu bleiben. Wir kennen diese Phänomen von Speichermedien, die wir ändern müssen oder können sie noch Disketten auf ihrem Computer lesen?
Vielleicht kennen Sie es auch, wenn Sie auf dem Dachboden alte Schulhefte oder Studienbücher finden – so wie ich neulich. Ich habe mein Abitur mit einem Leistungskurs in Mathematik gemacht, ich kann aber 35 Jahre später nicht mehr decodieren, was ich an mathematischen Zeichnungen verfasst habe. Arthur Zajonc schreibt: „Persönliche Entwicklung ist auf Übung und tägliches Bemühen angewiesen. Jede Handlung der Hand und des Auges formt die Seele. Und an anderer Stelle führt er aus: „Erkenntnis als Offenbarung setzt Anschauungsorgane, innere Werkzeuge voraus: und neue Erkenntnis verlangt nach neuen Werkzeugen. Wir alle besitzen die Rudimente jedes Organs, aber wir verweigern ihnen die Pflege, die sie brauchen – wir vernachlässigen die Übung, mit der sie wachsen und blühen können.“ Dieser Veränderlichkeit der Welt und der Übung im Moment zu sein, ist der philosophische Teil der Performances von Laurenz Theinert gewidmet. Er sagt: „Meine künstlerische Forschung widmet sich dem Zusammenspiel aller Komponenten und die performativen Aspekte sind dabei sehr wichtig. Alles verändert sich ständig und doch betrachten wir Farbe als etwas Dauerhaftes und eine materielle Form als ewig, obwohl wir wissen, dass nichts für immer ist – auch nicht wir selbst.
Vielleicht ist ein Kloster ein guter Ort um über die Gemeinsamkeiten von Künstlern, Wissenschaftlern und Mönchen nachzudenken, so wie es Zajonc nahelegt. Und vielleicht ist heute Nachmittag auch eine gute Gelegenheit, das Anschauen des Unsichtbaren im Sichtbaren zu üben.