Matthias Bullinger
Rede zur Eröffnung
der Ausstellung
„Tagundnachtgleiche“
Galerie Bildkultur
11. November 2017
„Ein wenig Magie, natürliche Magie“ vollbringe der Apparat, den er erfunden habe. Dies schrieb William Henry Fox Talbot, einer der Wegbereiter der Fotografie in einem Zeitungsartikel, der im Jahr 1839 erschien. (in: Literary Gazette zitiert nach Frizot, Neue Geschichte, S. 27). Als Wissenschaftler und Mathematiker war er sich sehr wohl bewusst, dass die ‚Lichtzeichnung‘, wie er sie nannte, (photogenic drawing, fotogenische Zeichnung,) nicht auf Zauberei beruhte, sondern auf nachvollziehbaren Wirkungen von Physik und Chemie. Talbot‘s Prinzip, das letztlich ermöglichte, fotografische Bilder durch Abzüge vom Negativ zu vervielfältigen, wurde zur Grundlage aller wesentlichen fotografischen Verfahren bis sich einhundertfünfzig Jahre später allmählich die Digitalfotografie durchsetzte. Aber ob Fotografien nun durch das Zusammenwirken von Chemikalien entstehen oder ob Lichtwellen durch empfindliche Sensoren in digitale Signale umgewandelt werden: wie einst für Talbot, so wirkt diese Bildwerdung für viele von uns noch immer ein wenig magisch.
Man schaut irgendwo durch, drückt irgendwo drauf und mit einer kleinen Verzögerung oder gar sofort erscheint das, was man eben gesehen hat, oder das, was man glaubt, gesehen zu haben, auf einem Papier oder einem Bildschirm.
An dieser Schnittstelle zwischen dem technisch Erklärbaren und dem gleichwohl Wunderlichen, setzt Laurenz Theinert mit seiner Arbeit an. Es geht ihm, wie er sagt, um die Fotografie als Medium. Wobei wir hier Medium einerseits als ‚Stoff‘ oder ‚Substanz‘ verstehen können andererseits aber auch als Synonym für einen ‚technischen Apparat‘, der Bilder erfertigt. Laurenz Theinert erzählt mit seinen Arbeiten keine Geschichten. Er dokumentiert auch keine historischen Ereignisse. Er widmet sich vielmehr in immer neuen experimentellen Anordnungen einer der grundlegenden Fragen dieser Technik, die Fotografen, Kunst- und Bildtheoretiker seit jeher beschäftigt: Wie verhält sich das Bild zur Zeit und die Zeit zum Bild? „Eine Fotografie ist statisch, aber die Zeit fließt.“, pointiert der amerikanische Fotograf Stephen Shore dieses Dilemma. Sind Fotografien daher, wie es oft heißt, als gefrorene Zeit zu betrachten, in der Partikel der Vergangenheit konserviert sind? Können Fotografien sogar die Zeitlichkeit in „dingliche Beständigkeit“ (Ernst Rebel) verwandeln? Oder ist dies nicht geradezu ein Trugschluss? Zeigen die vermeintlich beständigen Dinge – seien es Abzüge, die aus der Dunkelkammer kommen, seien es Papiere, die wir aus dem Drucker ziehen oder jene programmierten Impulse, die ein Bild immer wieder auf unseren Monitoren aufscheinen lassen – nicht gerade, wie die Zeit unablässig und unaufhaltsam vergeht? Einige Fragen sind dies nur, die Laurenz Theinerts Projekte aufwerfen.
Für seine Recherchen hat sich Laurenz Theinert einen ganz besonderen Tag im Zeitverlauf des Jahres ausgewählt: die Frühjahrs – Tagundnachtgleiche‘, also jenen Tag im März, an dem der lichte Tag und die Nacht gleich lange dauern.
So hat er am 20. und 21. März dieses Jahres über vierundzwanzig Stunden das Licht und die Dunkelheit in diesen Galerieräumen beobachtet und festgehalten. Entstanden sind in dieser Zeitspanne Videosequenzen und Fotografien, die er eigens für diese Ausstellung bearbeitet hat. Das Licht der Tagundnachtgleiche kommt so transformiert in diesen Raum zurück, den Laurenz Theinert mit seinen Arbeiten völlig neu in Szene setzt.
Mit herzlichem Dank für diese Mühen gebe ich daher das Wort weiter an Laurenz Theinert, der Ihnen mehr über seine Erlebnisse auf der Suche nach dem Bild der Zeit erzählen wird.
Auszüge der Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Naturstücke“, Galerie Bildkultur zu Gast bei Industria Oberländer am 7. Juli 2011
… Als einen ‚Rechercheur der visuellen Reduktion‘ habe ich Laurenz Theinert einmal bezeichnet. Als jemanden, der die grundlegenden Muster und Mechanismen unserer Wahrnehmung mit den Mitteln der Fotografie untersucht und abbildet. Dies gilt so auch für die dreiteilige Arbeit ‚Gras‘, die Sie hier sehen können. Sie gehört zur Werkgruppe, die den sprechenden Titel ‚Zeitfenster‘ trägt. Bilder, mit denen Laurenz Theinert es unternimmt, Zeit sichtbar zu machen. Von der ‚gefrorenen Zeit‘, die der Fotografie innewohne, sprechen ihre Theoretiker seit langem. Doch es ist nicht der Stillstand, das ‚Vergangenheitspartikel‘, das Laurenz Theinert interessiert, sondern der Verlauf der Zeit selbst, der im Kleinen so unmerklich ist und sich doch zu unserem Leben addiert.
In seiner Versuchsanordnung wählt Laurenz Theinert in diesem Fall als Bildmotiv ein Wiesenstück mit im Wind wogendem Gras. Er macht hiervon eine Aufnahme, eine halbe Sekunde später folgt eine zweite. Die Negative der Fotografien legt er anschließend am Computer übereinander. Bildteile, die sich während dieser halben Sekunde nicht verändert haben, löschen sich gegenseitig aus. Jene Teile aber, die sich verändert haben, bleiben sichtbar: hier das Gras, das sich im Wind bewegte. Zwei Zeitpunkte, die sich überlagern, machen so einen Zeitraum sichtbar: Jene halbe Sekunde eben, die sonst unbemerkt vorübergeht. …
Auszüge der Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Raumordnungen“, Galerie Bildkultur am 1. Juli 2009
Meine Damen und Herren, als einen ‚Rechercheur der visuellen Reduktion‘ können wir Laurenz Theinert vielleicht bezeichnen, als jemanden, der die grundlegenden Muster und Mechanismen unserer Wahrnehmung mit den Mitteln der Fotografie untersucht und abbildet.
In seiner Reihe ‚Gegenwelt‘ – im Raum nebenan – sehen Sie jeweils zwei zusammengehörende Bilder, die in irritierendem Kontrast zueinanderstehen. Die Methode, mit der die hier gezeigten Arbeiten entstanden sind, ist die eines ‚Flaneurs‘, eines Mannes, der mit Muße den Stadtraum durchstreift, sich treiben lässt – und doch gleichzeitig aufmerksam sein Motiv auswählt und reflektiert.
Zum einen sehen wir Bilder, auf denen schwarze Streifen den weißen Hintergrund gliedern. Dazu gehörend jeweils ein zweites farbiges, narratives Bild, beispielsweise eine für uns ganz alltägliche Situation: ein Auto, ein Imbiss-Stand oder ein Beet mit Blumen. Spontan suchen wir nach dem Zusammenhang beider Fotografien, versuchen das ‚visuelle Destillat‘ zu identifizieren.
Wir bemühen uns, das eine im anderen zu finden, beide Teile als ein schlüssiges Ganzes zu sehen – aber der Analogieschluss geht ins Leere. Das eine Bild entstammt nicht dem anderen, es ist nur an derselben Stelle aufgenommen – allerdings nachdem der Fotograf sich im Raum um 180 Grad gedreht hat. Ein ‚Gegenschuss‘ sozusagen: auf das zufällige Gegenüber des zuvor gewählten Standpunkts.
Mit einem Augenzwinkern demonstriert Laurenz Theinert mit diesem Manöver, worum es der ‚konkreten Fotografie‘, der er sich zugehörig sieht, geht: ‚reine‘ Bilder zu erreichen, bei denen der fotografische Prozess und die Fotografie als Objekt selbst in den Vordergrund treten und nicht mehr Gegenstände oder Personen abzubilden – sich abzuwenden von Dokumentation oder bildnerischer Erzählung.
Im selben Raum sehen Sie Arbeiten, die Laurenz Theinert ‚Raumverdichtungen‘ nennt und mit denen er seine Idee durch einen sehr bewussten Kunstgriff nochmals zugespitzt hat: er fotografiert ein Objekt (hier Gerüstelemente bzw. Oberleitung der Straßenbahn) aus verschiedenen Positionen und legt mehrere Varianten in einem Block aus (Acryl)Glas in einzelnen Schichten übereinander. So verdichtet sich der Raum, der beim Fotografieren durchschritten wird, auf einen Punkt und wir sehen gleichzeitig unterschiedliche Ansichten desselben Gegenstands ohne dass es dabei eine einzige „richtige“ Wahrnehmung gäbe.
Im Kabinett sehen wir die jüngste Arbeit aus der Reihe ‚Standpunkte‘, mit dem Titel ‚Sydney, King Street Ecke Pitt Street 6.6.2009 14:25 Uhr‘. Hier geht es Laurenz Theinert nicht mehr um ein Gegenüber oder eine Verdichtung, hier geht es ihm um die Atmosphäre, die am Ort der Aufnahme für ihn bestimmend war. Er wählt ein Element aus, das er in allen sechs Richtungen der Raumachsen fotografiert. Die Installation soll dem Betrachter (künstlerisch abstrahiert) in monochromen Farbflächen die Atmosphäre dieser Situation widerspiegeln. Das monochrome Bild – so rein es auch immer sein mag – nehmen wir auf diese Weise wahr als einen Teil unserer gelebten Realität.